Rebellion im ORF


Offener Brief an Nikolaus Pelinka

Die Redakteurinnen und Redakteure der Fi1 (ZiB, Diskussionssendungen, Wetter, Heute
in Österreich) haben heute in ihrer Redakteursversammlung folgenden Offenen Brief an
Nikolaus Pelinka beschlossen:
 
Sehr geehrter Herr Pelinka!
Wir entnehmen verschiedenen Medienberichten, dass Sie sich für die ausgeschriebene
Funktion  eines  „Leitenden Redakteurs“  als  Büroleiter  des  ORF-Generaldirektors be-
worben haben.  Sie wissen, dass wir und viele andere ORF-JournalistInnen gegen Ihre
Bestellung in diese Funktion protestieren,  seit sie am Tag vor Weihnachten ohne Aus-
schreibung öffentlich bekanntgegeben wurde.
Mehr  als tausend ORF-Journalistinnen und -Journalisten, das sind mehr als drei Viertel
aller Programm-MitarbeiterInnen des Unternehmens, haben mit ihrer Unterschrift den
Generaldirektor  aufgefordert,  Ihre  und  andere  – offensichtlich politisch motivierte –
Postenbesetzungen nicht vorzunehmen.
Sie selbst haben mehrfach öffentlich erklärt, Sie würden die Sorgen der ORF-Mitarbeiter
-Innen  verstehen,  aber sie würden  uns in ihren  „täglichen  Handlungen  überzeugen,
dass die Ängste unbegründet sind“. Diese Reaktion zeigt leider, dass Sie unsere Sorgen
keineswegs verstehen.
Unsere Hauptsorge gilt nämlich der Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit des ORF, die
für  ein  öffentlich-rechtliches  Unternehmen essentiell  sind.   Diese werden durch Ihre
nahtlose  Übersiedlung  von  der Spitze  der  SPÖ-Fraktion  im ORF-Stiftungsrat  in die
Generaldirektion schwerst beschädigt – und zwar völlig unabhängig von Ihren allfälligen
Handlungen  als  Büroleiter.  Das  beweist  die  öffentliche Debatte der letzten Wochen
leider eindrucksvoll.
Auch  Ihr  Vorgehen der  letzten  Tage lässt  uns zweifeln,  dass Sie die Problematik ver-
stehen.  Obwohl sie ihr Stiftungsratsmandat zurückgelegt haben, luden Sie noch dieser
Tage den SPÖ-„Freundeskreis“  (cc den SP-Klubobmann und die SP-Geschäftsführerin)
zu einer „fraktionellen Besprechung“ in ein SPÖ-Klubzimmer ein, um die „weitere Zusam-
menarbeit“ zu diskutieren.
Und  dies  am  Höhepunkt der öffentlichen Debatte über parteipolitische Verstrickungen.
Aber auch Ihre bisherige Funktion als Leiter eines Partei-„Freundeskreises“ stört uns, da
Sie  als Stiftungsrat bekanntlich vom ORF-Gesetz zur Unabhängigkeit verpflichtet waren.
Trotz  des  Fraktionsvorsitzes  im  Stiftungsrat,  Ihrer Arbeit für einen Abgeordneten und
eine  Ministerin  sowie  der  mehrfachen  Kandidatur auf Wahllisten der SPÖ  haben Sie in
einem Interview erklärt, sie seien „nie für eine Partei tätig“ gewesen.
Das  zeigt uns,  dass Sie und wir  offenkundig ein grundsätzlich  anderes Verständnis von
politischer  Unabhängigkeit haben.   Und schließlich haben  Sie im Lauf der letzten Monate
einen geplanten Wechsel in den ORF wiederholt öffentlich dementiert.  Auch das lässt uns
an  der  Verlässlichkeit  Ihrer  Ankündigungen  sehr  stark zweifeln.   So haben Sie vor der
letzten Generaldirektor-Wahl u.a. wörtlich erklärt:  „Ich schließe aus, dass ich in der näch-
sten Geschäftsführung in den ORF wechsle“.
Wenn  es  Ihnen  tatsächlich  um  den ORF  und  um seine Glaubwürdigkeit geht  – dann
stehen Sie zu ihrem Wort.  Wir fordern Sie auf –  im Interesse des ORF – Ihre Bewerbung
zurückzuziehen.
Für die Redaktionen der Fi1, die Redakteurssprecher:
Dieter Bornemann, Lisbeth Bischoff, Eugen Freund, Barbara Seebauer, Oliver Ortner,
Harald Jungreuthmayer, Sabine Schuster, Christian Stöger
 

Vergebliche Liebesmühe

Es  ist  sehr  lobenswert,  dass sich Journalist(innen)  im ORF um eine gewisses Maß an
politischer Unabhängigkeit bemühen.  Allerdings glauben wir kaum,  dass sich die polit-
ischen Machthaber im staatlichen Rotfunk beeindrucken lassen.  Sie werden ihren, seit
Jahrzehnten  gefahrenen Kurs des Proporzes weiterbetreiben und Schlüsselpositionen
weiterhin mit ihren Protegekindern besetzen.
Wie  wenig  sich  die  ORF-Machthaber  um gesetzliche Vorschriften kümmern beweist
allein die Tatsache, dass eine Stellenzusage an Pelinka erfolgte, bevor überhaupt noch
die gesetzlich geforderte öffentliche Stellenausschreibung kund getan wurde.
Was  die im Offenen Brief  angesprochene und kritisierte Glaubwürdigkeit des Nikolaus
Pelinka betrifft,  darf diese nicht so  ernst genommen werden.   Die widersprüchlichen
Aussagen  des SPÖ-Protegekindes bezüglich  seiner politischen Tätigkeit und  der Ver-
neinung eines beabsichtigten Wechsel in die nächste ORF-Geschäftsführung, sind für
uns  völlig  normal,  denn früh übt sich was ein gestandener Politiker werden will.   Zu
diesem  Erkenntnis sollten  auch erfahrene Journalist(innen) gelangen,  um nicht eine
herbe Enttäuschung zu erleben.
So  sehr wir es uns auch wünschen,  dass die Hoffnungen  der Unterzeichner(innen)
des Offenen Briefes an Pelinka in Erfüllung gehen, so sehr glauben wir nicht daran.
Denn welches politische Sprachrohr könnte effizienter sein, als ein Rundfunk. Darum
nehmen wir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an, dass die SPÖ keiner-
lei Interesse daran hegt, die Proporzwirtschaft im staatlichen Rotfunk zu beenden.
Trauriger  Weise  wird  Nikolaus Pelinka  den  Job erhalten und die ganze Aktion wird
vermutlich vergebliche Liebesmühe gewesen sein. Trotzdem gebührt den „Rebellen“
Respekt, da sie zumindest einen Versuch gewagt haben.
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2012-01-13