Sittenwidrig?

Die Interessensbewahrer

Stellen Sie sich folgendes Szenario vor. Sie werden von einer Behörde beschuldigt eine Ver-
waltungsübertretung begangen zu haben, die Sie jedoch bestreiten. Um Ihr Recht durchzu-
setzen, engagieren  Sie einen Rechtsanwalt.
In Ihren Augen ist dieser Anwalt der Bewahrer Ihrer Interessen und sollte sich so gut wie
möglich für Ihr Anliegen einsetzen. Dieser erhält natürlich für seine Aufgabe, das  gegen-
seitig freiwillig vereinbarte Honorar von Ihnen. 

Würden Sie so einen Anwalt engagieren?

Nun tritt jener Fall ein, dass Sie trotzdem gegen die Behörde verlieren  und Ihnen diese
ein Bußgeld auferlegt. Sie werden sich bestimmt nicht freuen und vielleicht geben Sie auch
dem Anwalt eine Mitschuld, weil dieser  Ihrer Meinung nach  nicht genug aktiv war.
Was würden Sie machen wenn Sie in Kenntnis gelangen, dass eingehobene Bußgelder
dem  Anwalt überwiesen werden? Würden Sie sich von einem solchen Anwalt  weiter
vertreten lassen, auch wenn er permanent beteuert Ihre Interessen zu wahren.

Wider den guten Sitten

Mit absoluter Sicherheit würden Sie mit diesem Anwalt nicht einmal ein Wort wechseln,
geschweige denn, ihn als Bewahrer Ihrer Interessen ansehen. Eine Vorgehensweise bei
der ein Interessensvertreter, gleichzeitig von den Behörden die eingehobenen Strafgelder
überwiesen bekommt, ist unserer Meinung nach wider den guten Sitten.

Gemeinsam sind wir stark

Anders dürfte dies die Wirtschaftkammer sehen.   Diese braucht ohnehin von niemanden
engagiert zu werden, denn sie besteht ausschließlich aus Zwangsmitgliedern. Obwohl die
Wirtschaftskammer ständig mit dem Slogan „Gemeinsam sind wir stark“ hausieren geht,
schickte sie eine Aussendung an eine bestimmte Zwangsmitgliedergruppe.

Keine Vertretung

Die Ursache dieser Mitteilung waren Verhandlungen mit der Stadt Wien, bezüglich einer
Senkung der Vergnügungssteuer.  Die Aussage in dieser Aussendung war in der Tat erstaun-
lich, denn sie lautete „Aus gesellschaftspolitischen Gründen, konnten wir Ihr Anliegen
nicht vertreten.“

Keine Moral

Allerdings hatte es die Wirtschaftkammer nicht davon abgeschreckt, weiterhin den Zwangs-
obolus  bei dieser Gruppe von Gewerbetreibenden einzuheben. Geld hat kein Mascherl und
daher ist es gesellschaftspolitisch unbedenklich, wird man sich bei der Wirtschaftkammer
gedacht haben.

Pleitier als Kammerfunktionär

Noch eine von zahlreichen Episoden der Wirtschaftskammer. Ein Unternehmer der bereits
eine behördliche Löschung einer seiner zahlreichen Firmen, einen Konkurs sowie eine Kon-
kursabweisung vorweisen konnte, saß jahrelang als hoher Funktionär in einem Kammer-
gremium.
Dieser Mann war nicht einmal mehr befugt als selbständiger Fensterputzer zu agieren und
leitete Geschicke in einem Gremium mit. „ERSTAUNLICH“ deckte diesen Skandal auf und
die Wirtschaftskammer trennte sich still und leise von diesem Mann. Über diesen Vorfall
haben wir noch keinen Beitrag geschrieben, behalten uns dies aber vor.

Erstaunliche Aussage

Wir haben am 28.Oktober den Beitrag „Magistrat unterstützt Einbrecher“ verfasst. In
diesem Bericht ging es auch um die nebensächliche Aussage eines Marktamtsbeamten
der behauptete, dass die Wirtschaftkammer einen Teil der eingehobenen Strafgelder
erhält.

Erfolglose Nachfrage

Zuerst dachten wir an einen schlechten Scherz, konnten aber kein Motiv dafür finden, dass
dieser Mann die Unwahrheit sprach. Also riefen wir umgehend in der Wirtschaftskammer an
und wollten genaueres dazu wissen.
Wie wir fast erwartet hatten kam keine Antwort. Bei Nachfragen war die zuständige Juristin
entweder nicht im Zimmer oder sie telefonierte gerade. Also haben wir uns an die Magistrats-
direktion Wien gewandt und unsere Anfrage dort deponiert.
Postwendend erhielten wir per Mail folgende Antwort, die in der Tat erstaunlich ist.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Ihre Anfrage wurde an uns weitergeleitet.
Sollte sich diese auf ein Telefonat eines Ihrer Mitarbeiter mit mir beziehen, in dem es um
ein Organmandat wegen Übertretung einer gewerbebehördlichen Bestimmung (äußere
Geschäftsbezeichnung) gegangen ist, darf ich Ihnen folgende Bestimmung aus der Gewerbe-
ordnung 1994 zur Kenntnis bringen:
„§ 372. (1) Die auf Grund dieses Bundesgesetzes verhängten Geldstrafen sowie der Erlös der
auf Grund des § 369 für verfallen erklärten Gegenstände fließen der Landeskammer der ge-
werblichen Wirtschaft zu, in deren Bereich die Behörde liegt, die  Verwaltungsübertretung
geahndet hat. Die Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft hat diese Beträge für die Wirt-
schaftsförderung sowie zur Unterstützung unverschuldet in Notlage geratener Gewerbetreib-
ender und ehemaliger Gewerbetreibender zu verwenden.“
Wie dieses Gesetz enthalten auch andere Gesetze Zweckwidmungen hinsichtlich der auf
dieser Rechtsgrundlage eingehobenen Strafgelder. Bundesgesetzliche Bestimmungen sind
über das Rechtsinformationssystem des Bundes, Gesetze des Landes Wien über das Wiener
Rechtsinformationssystem abrufbar.
Ich hoffe Ihnen mit dieser Auskunft gedient zu haben.
Mit freundlichen Grüßen:
Die Abteilungsleiterin:
Mag. Adelheid S*******
Direktorin des Marktamtes
Da hatte sich der Beamte des Marktamts ein wenig geirrt. Nicht ein Teil der eingehobenen
Strafgeldern, sondern der volle Betrag, sowie der Erlös für verfallen erklärte Gegenstände
fließt der Wirtschaftskammer zu.

Wer sind die Unterstützten?

Und das Schöne daran ist , dass diese ganze Aktion durch die Gewerbeordnung gesetzlich
gedeckt ist. Jetzt kann man noch drei mal raten, wer am Entwurf der Gewerbeordnung
mitgearbeitet hat. Richtig geraten, es ist die Wirtschaftkammer.
Mit den überwiesenen Strafgeldern soll die Wirtschaftskammer unter anderem, unverschuldet
in Notlage geratene Gewerbetreibende unterstützen. Wahrscheinlich sind das jene, die nach
Konkursen und Konkursabweisungen, als hohe Funktionäre in verschiedenen Gremien
sitzen.

Eindeutiger Interessenskonflikt

Aber lassen wir einmal den Sarkasmus beiseite und betrachten diese Angelegenheit ganz
nüchtern. Eine Interessensvertretung die gleichzeitig in den Genuss der verhängten Straf-
gelder kommt, ist eindeutig in einem Interessenskonflikt.
Vermutlich ist das auch jener Grund, wenn Gewerbetreibende bei der Wirtschaftkammer
juristischen Rat suchen um sich gegen behördliche Strafen zu wehren und ihnen gesagt
wird, es sei besser zu bezahlen als lange Prozesse zu führen.

Ratschläge haben tieferen Sinn

Diese erstaunlichen Ratschläge der „Interessensvertretung“ ergeben somit auch einen
Sinn, da die Strafgelder an die Wirtschaftskammer überwiesen werden. Damit kassieren diese
doppelt, nämlich einerseits die Zwangsumlage und anderseits die Bußgelder.
Eine derartige Verhaltensweise ist in unseren Augen sittenwidrig, denn wie kann eine Interes-
sensvertretung die ausschließlich aus Zwangsmitgliedern besteht, in den Genuss von Buß-
geldern kommen, welche von Behörden verhängt werden.

Ohne Zwangsmitglieder gäbe es keine Wirtschaftkammer mehr

Das unsere Theorie stimmt, dass es die Wirtschaftskammer bei ihrer jetzigen Leistung und
Verhalten nicht mehr gäbe, wenn sie von freiwilligen Mitglieder leben müsste, lässt sich
durch diese erstaunliche Verhaltensweise einwandfrei beweisen.
Ist schon die Rekrutierung von Zwangsmitgliedern zumindest moralisch bedenklich, schlägt
wohl das Einkassieren von behördlich eingehobenen Strafgeldern als Interessensvertretung,
dem Fass den Boden aus.

Eine Lösung wird kommen müssen

In dieser Angelegenheit sollte die Wirtschaftskammer zum Vorteil ihrer „Zwangsmitglieder“
schnellstens aktiv werden, denn wir denken dass unser Beitrag sicher einige juristische
Aktivitäten auslösen wird.
Normalerweise müsste die Zwangsmitgliedschaft sofort aufgehoben werden. Mit der bis-
herigen Gangart der Wirtschaftskammer gewinnt man den Eindruck, dass es sich hier um
einen Staat im Staat handelt.

Leider sind die meisten Leute in Unkenntnis

Wir sind sich ziemlich sicher, dass diesen seltsamen Paragrafen in der Gewerbeordnung
fast niemand kennt und auch nur wenige Leute, wie Beamte und höherrangige Mitarbeiter
der Wirtschaftskammer, über diese Vorgehensweise Bescheid wissen.
Vermutlich haben wir auch deshalb keine Antwort der Wirtschaftkammer erhalten, weil diese
keinen unnötigen Staub aufwirbeln wollte. In diesem Fall hat sich die Direktion des Markt-
amtes äußerst korrekt verhalten und einem fragenden Bürger umgehend Antwort erteilt.
Stauni
   
2009-11-19